Borreliose – Langzeitfolgen durch langlebige Bakterienreste

Langzeitfolgen durch langlebige Bakterienreste
Manche Menschen entwickeln nach einer Lyme-Borreliose Spätfolgen wie Lyme-Arthritis. Forschende aus den USA haben nun persistierende, entzündungsfördernde Proteine des Erregers Borrelia burgdorferi als mögliche Auslöser der Spätfolgen ausgemacht.
Zecken können nicht nur das FSME-Virus übertragen, das die Frühsommer-Meningoenzephalitis verursacht, sondern auch Borrelien, in unseren Breiten vor allem Borrelia burgdorferi. Die Bakterien lösen die Erkrankung Lyme-Borreliose aus. Sie befinden sich in der nüchternen Zecke im Darm und wandern beim Saugakt in die Speicheldrüsen, von wo aus sie auf den Menschen übertragen werden. Daher muss die Zecke mehrere Stunden, meist mindestens 24 Stunden, am Wirt verbleiben, damit sie Borrelien übertragen kann.
Laut Angaben des Robert-Koch-Instituts sind etwa 6 bis 35 Prozent der Zecken in Deutschland von Borrelien befallen. Nach einem Zeckenstich kann es zu einer Erkrankung kommen, die mehrere Körpersysteme betrifft, einschließlich Haut, Nervensystem, Gelenke und Herz.
In Europa liegt die Inzidenz der gemeldeten Fälle von Borreliose bei ungefähr 30.000 pro Jahr. Vermutet werden jedoch eher 150.000 Fälle pro Jahr. Während die akute Infektion gut auf eine antibiotische Behandlung mit Doxycyclin anspricht, bereiten vor allem postinfektiöse Komplikationen der Lyme-Borreliose Probleme. Zu diesen zählen insbesondere das postinfektiöse Lyme-Arthritis-Syndrom (PLAS) und das Posttreatment Lyme Disease Syndrome (PTLDS). Dabei handelt es sich um ein chronisches Beschwerdebild, das Monate bis Jahre nach einer Infektion auftritt und von Erschöpfung, Schmerzen und kognitiven Problemen gekennzeichnet ist. Jetzt gibt es Hinweise darauf, was diese Spätfolgen verursachen könnte.
In einem im Fachjournal »Science Translational Medicine« erschienenen Artikel berichten Dr. Mecaila McClune und Kollegen von der Feinberg School of Medicine der Northwestern University in Chicago, dass Peptidoglykan-Fragmente der bakteriellen Zellwand als persistierende Antigene für die Spätfolgen einer Lyme-Borreliose verantwortlich sein könnten.
Mithilfe eines Mausmodells wiesen die Forschenden nach, dass polymere Peptidoglykan-Fragmente nach systemischer Applikation in Leber und Milz der Tiere akkumulieren und dort über Wochen persistieren. Diese Persistenz ist chemisch bedingt, denn die Peptidoglykan-Fragmente von Borrelia burgdorferi (PGBb) besitzen besondere Strukturelemente wie L-Ornithin im Stammpeptid und das ungewöhnliche Glykan-Endmotiv G-G-anhM. Besonders diese Komponente scheint die verlängerte Verweildauer zu begünstigen. Denn Vergleichsstudien mit peptidoglykanischen Zellwänden anderer Bakterien, darunter Escherichia coli, Staphylococcus aureus oder Deinococcus radiodurans, zeigten eine deutlich schnellere Clearance, was auf die Einzigartigkeit von PGBb in Bezug auf seine Persistenz hindeutet.
Zelluläre Aufnahme und Speicherung
In-vitro-Studien belegten, dass sowohl die als Lebermakrophagen bekannten Kupffer-Zellen als auch Hepatozyten PGBb phagozytieren. Während Kupffer-Zellen unterschiedliche Peptidoglykan-Typen aufnehmen, phagozytierten Hepatozyten bevorzugt PGBb. Intakte B.-burgdorferi-Zellen werden hingegen kaum von Hepatozyten phagozytiert.
Obwohl sich durch die Ansammlung von PGBb in der Leber nur geringe Gewebeschäden zeigten, wurden dauerhaft erhöhte Leberwerte (ALT, AST) gemessen, was auf eine unbemerkte Leberfunktionsstörung hinweist. Untersuchungen des Lebergewebes zeigten zudem eine deutliche Anreicherung von Immunproteinen, insbesondere solchen, die an Toll-like-Rezeptor-Signalwegen (TLR1/2), der Aktivierung von Neutrophilen sowie an Abwehrreaktionen gegen Viren beteiligt sind – ähnlich den Mustern, die auch bei Long Covid beobachtet werden.
Wenn humane periphere mononukleäre Blutzellen (PBMC) mit PGBb stimuliert wurden, führte dies zu einer stärkeren Genexpression als die Stimulation mit anderen Peptidoglykanen. So veränderte sich nach der Stimulation etwa die Energie-Stoffwechsel-Genregulation und die Gene von CCL19 und IL-23, die typischerweise mit PTLDS assoziiert sind, waren stärker aktiv.
Humanrelevanz: Nachweis in Patientenproben
Mit einem neu entwickelten monoklonalen Antikörper (r-mAb2G10) konnten die Forschenden erstmals polymeres PGBb (pPGBb) in der Gelenkflüssigkeit von Menschen detektieren. In 90 Prozent der Proben von Patienten mit PLAS konnte auch nach einer antibiotischen Behandlung pPGBb immunologisch nachgewiesen werden, wohingegen Kontrollproben aus anderen Arthritisformen negativ blieben. Dies legt nahe, dass polymeres, nicht vollständig abgebautes PGBb ein relevanter pathophysiologischer Faktor in der chronischen Phase der Lyme-Borreliose ist.
Den Autoren zufolge könnte pPGBb als persistierendes Pathogen-assoziiertes molekulares Muster (PAMP) eine Schlüsselrolle bei der Chronifizierung von Symptomen nach B.-burgdorferi-Infektion spielen, indem es kontinuierlich aus der Leber freigesetzt werden kann, dauerhaft Immunreaktionen aktiviert, Metabolismus-Pfade stört und möglicherweise autoimmune Prozesse triggert.
Diese Hypothese wird durch Parallelen zu anderen postinfektiösen Syndromen wie Long Covid unterstützt. Wie die Zellwandreste Entzündungen auslösen und Symptome verursachen, muss noch genauer untersucht werden, um diagnostische Marker und zielgerichtete Therapien für die Erkrankung zu entwickeln, insbesondere um unnötige Antibiotikatherapien oder Immunsuppressiva-Gaben zu vermeiden.
Quelle:
https://www.pharmazeutische-zeitung.de/langzeitfolgen-durch-langlebige-bakterienreste-155515/
https://www.science.org/doi/10.1126/scitranslmed.adr2955